Samstag, November 26, 2011

Nach der Allgemeinverfügung

Das schlimme Erwachen

Seit 7 Uhr morgens sind die akj-Demobeobachter_innen mit ihren magentafarbenen Warentesten und der Aufschrift "OBSERVER" wieder unterwegs im Wendland, um die polizeilichen Maßnahmen kritisch zu begleiten.
"Interessant erschien uns vor allem, auf welche Weise die Polizei die Einhaltung der Allgemeinverfügung durchsetzen wird," erklärt akj-Sprecherin Stefanie Richter.
Zwischen 8 und 11 Uhr morgens hatten Polizeikräfte die Zufahrten zu Metzingen blockiert und führten penible Personenkontrollen durch. Es wurde gezielt nach Polsterungen gesucht und teilweise Personalien aufgenommen. Dabei nahmen die Beamt_innen den Menschen insbesondere die mitgeführten Handschuhe ab, selbst wenn es sich dabei um reine Wollprodukte handelte. Offenbar befürchteten sie deren Einsatz beim Schottern des Gleisbettes.

Erneut kam es zu Behinderungen von Sanitäter_innen und Presse. Gegen 9 Uhr verweigerten die Beamtinnen einer Feuerwehr die Durchfahrt aus Metzingen, eine halbe Stunde später wies sie mehrere Demosanitäter_innen ab, obwohl diese sich ausgewiesen hatten. Pressevertreter berichten auf dem taz-ticker, ihnen seien Teile der Ausrüstung wie Atemschutz und Schutzbrille abgenommen worden.

Sensibilitäten zur Auswahl der Rechtsgrundlage

Während die Polizeikräfte vor Ort ihre Maßnahmen schmallippig als notwendige "Gefahrenabwehr" begründen, verweist die Polizeieinsatzleitung auf § 14 des Niedersächsischen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (NdsSOG). Danach darf die Polizei auf Anordnung der Dienststellenleitung Kontrollstellen auf öffentlichen Straßen oder Plätzen oder an anderen öffentlich zugänglichen Orten einrichten und dort Identitätsfeststellungen (§ 13 Abs. 1 Nr. 4 NdsSOG), Datenerhebungen und Durchsuchungen (§ 22 Abs. 2 NdsSOG) durchführen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass ein Landfriedensbruch (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 Nds.SOG i.V.m. §§ 125, 125a oder 305a StGB) oder Verstöße gegen das Niedersächsische Versammlungsgesetz (§ 14 Abs. 1 Nr. 4 Nds.SOG i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nrn. 4 bis 6 NdsVersG) begangen werden sollen.

"Der niedersächsische Landesgesetzgeber hat mit seinem neuen Polizei- und Versammlungsgesetz offenbar gezielt eine Lex Castor schaffen wollen, die der Polizei weitgehende Kontroll- und Eingriffsbefugnisse verleihen soll. So können nach § 14 NdsSOG die Kontrollstellen eingesetzt werden, um u.a. Demonstrant_innen nach Waffen oder sog. Schutzausrüstung zu kontrollieren, die der Abwehr polizeilicher Vollstreckungsmaßnahmen dienen sollen," erläutert Stefanie Richter, legt jedoch sofort nach:
"Wenn er sich da mal nicht verschätzt hat: Zum einen müssen alle polizeilichen Maßnahmen rund um das Versammlungsgeschehen am hohen Maßstab der von Art. 8 Grundgesetz geschützten Versammlungsfreiheit bemessen werden. Diesen Anforderungen genügen bei Fehlen einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben oder den Bestand des Staates jedoch weder das Polizeigesetz noch die konkreten Maßnahmen heute morgen in Metzingen."

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes setzen polizeiliche Maßnahmen, welche die Versammlungsfreiheit einschränken, eine unmittelbare Gefahr für wichtige Rechtsgüter voraus. Diese Gefahr muss durch konkrete Tatsachen belegt werden können, die zudem mit den an der Kontrollstelle Anzutreffenden in unmittelbaren Zusammenhang stehen müssen. Außerdem darf die Grundrechtsausübung durch die Maßnahme nicht übermäßig beschränkt werden.

"Wir haben Grund zu der Annahme, dass die Durchsuchungen der Metzinger Bevölkerung nach sog. Schutzausrüstung auch nach dem Polizeigesetz rechtswidrig waren," gibt Stefanie Richter mit Blick auf § 22 Abs. 2 Nds.SOG zu bedenken:
"Danach darf die Polizei an Kontrollstellen nur nach Waffen, anderen gefährlichen Werkzeugen und Explosivmitteln durchsuchen, wenn
dies nach den Umständen zum Schutz gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist. Schutzausrüstung wie Handschuhe, Daunenjacken und Strohsäcke dürften dessen nicht verdächtig sein."


Zwar kann die Polizei eine Durchsuchung von Personen nach § 22 Abs. 1 Nr. 2 NdsSOG auch dann durchführen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Sachen mit sich führt, die sichergestellt werden dürfen. Dabei handelt es sich allerdings lediglich um eine Auffangkompetenz für Zufallsfunde.

"§ 22 Absatz 2 geht jedoch als Spezialnorm für Kontrollstellen dem Absatz 1 vor, weswegen die Errichtung der Kontrollstelle aus rechtlich-systematischen Gründen nicht erfolgen dürfe, um nicht nach Waffen oder Explosivstoffen zu suchen, sondern nach Schals und Handschuhen," so Stefanie Richter vom akj-berlin.
Die Polizeibeamtin vor Ort zeigt sich davon unbeeindruckt: "Ist doch trotzdem Gefahrenabwehr," murmelt diese, zieht die Schultern hoch und wendet sich wieder der Taschendurchsuchung zu.

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